Wie habe ich mich gefreut, als meine Kinder anfingen, zu malen! Nicht das undifferenzierte Gekritzel, nein, richtige erkennbare Formen, Kinderkunst: Menschen, Gesichter, irgendwann Kopffüßler und schließlich echte Kunstwerke. Gerade bei meiner ersten Tochter war ich hingerissen, habe die Machwerke gefeiert, gerahmt und das Haus damit dekoriert. Das Kind war wie gewünscht vollkommen ermutigt und ging dann so mit vier Jahren ernsthaft in Produktion.
Was dann kam hatte ich nicht kommen sehen. Wir wurden geflutet mit den immer gleichen Motiven, es war scheinbar nicht mehr zu stoppen. Das Kind hatte einen unfassbaren Output und erschuf in geringfügiger Variation Unmengen von Häusern, Familien, Prinzessinnen, Pinguinen und lachenden Sonnen. Ich legte einen Ordner an, weil nicht mehr alles an die dafür vorgesehene Wand passte und mal ehrlich, wer hängt sich schon freiwillig zehn Mal dasselbe Motiv an die Wand? Schnell wurde klar, dass ich auch mit dem Ordner nicht weit kommen würde und ich begann, die bei mir abgelieferte Kunst heimlich auszudünnen und die nicht so originellen und nicht so sorgfältig hergestellten Exemplare ihrer Vernichtung im Altpapiercontainer zuzuführen. Und das war erst der Anfang.
Denn mit fortschreitendem Alter begann das Kind auch, unverdrossen zu basteln. Schmetterlinge aus leeren Klorollen, Watteschneemänner und zig Raupen aus Tonpapier. Geburtstagskronen, Geburtstagsfederschmuck, Geburtstagshüte. Nicht zu vergessen die Dinge aus dichteren Materialien wie Kackahaufen aus Ton, Schildkröten aus bemalten Steinen und unzählige Gebilde aus Kastanien und Zahnstochern. Alles keine Altpapierware. Mit Schuleintritt wurden die Kunstwerke ein bisschen seltener, dafür kamen jetzt geschriebene und gerechnete Zeugnisse des Selbstausdrucks dazu. Und das Kind hat noch zwei jüngere Geschwister, die ihrer Schwester in ihrem Willen, sich kreativ zu betätigen und erfahrbare Abbilder ihrer Kreativität zu schaffen in nichts nachstehen.
Mein Haus wird bevölkert von aus den Nähten platzenden Sammelmappen, Pappmachéhasen, Laternen und Undefinierbarem aus recyclebaren Materialien in allen Größen und Formen. Ich könnte ein Museum damit eröffnen und florierenden Handel mit Altwertstoffen betreiben. Korken? Habe ich Unmengen. Sie sind bunt bemalt und kleben aneinander, aber es sind viele! Leere Gläser? Ohne Ende. In ihnen befinden sich kleine Aquarien aus Knetmasse oder Stilleben bestehend aus bunten Federn, Centstücken und Stöckchen. Inzwischen bin ich zwanghaft darin, möglichst unbemerkt die Massenanhäufungen dieser Kunstwerke und ihrer Papierbrüder und -schwestern aka „einschönesbildfürdichmama!“ zu unterwandern und sie einzeln zu entsorgen. Natürlich ist es wichtig, dass ich mich von meinen Kindern dabei nicht erwischen lasse. Wenn sie wüssten, wieviele Pinguinfamilien und Klorollenschmetterlinge ich schon habe verschwinden lassen! Meine Kinder würden mir nie wieder vertrauen! Es würden sich in ihren Seelen kleine Abgründe auftun, in denen meine Glaubwürdigkeit für immer verschwinden würde.
Denn sie basteln das ja alles für mich. Ist klar, oder? Ich bin die Adressatin all dieser kreativen Auswüchse. Jedes Ding wird mir mit dem bedeutungsschweren Satz „Das hab ich extra für dich gemacht, Mama!“ überreicht und damit bin ich in moralischer Geiselhaft. Ich muss dankbar sein und die Dinge mit der gebührenden Wertschätzung behandeln. Jedenfalls eine angemessene Zeit lang. Also muss ich bei ihrer Entsorgung heimlich zu Werke gehen. Nachts, wenn die Kinder schlafen zum Beispiel. Wenn sie bei Freunden zum Spielen sind. Oder auch jetzt, wo sie in der Schule und in der Kita sind. Noch eine Stunde! Höchstens…
Sie entschuldigen mich, ich hab zu tun!