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Katharina Martin
Lesedauer 4 Min
31. Januar 2018

Die Kammer des Schreckens – Ordnung im Kinderzimmer

Es lässt sich nicht vermeiden, wenn man Kinder hat: sie sammeln Kram an. Nicht nur Dinge, die sie brauchen oder hochwertiges, gar pädagogisch wertvolles Spielzeug, nein, je länger ein Kind ein Zimmer bewohnt, desto mehr verwandelt es sich ganz allmählich in das, was ich gern die Kammer des Schreckens nenne. Denn Kinder sind Sammler und trennen sich schwer von ihnen lieb gewordenen Kleinigkeiten, selbst wenn es sich nur um ein Puzzlestück handelt, zu dem das entsprechende Puzzle gar nicht mehr existiert. Das spielt keine Rolle, denn im Zweifel hat genau dieses Puzzlestück hohen sentimentalen Wert für das Kind und darf auf keinen Fall weggeworfen werden. Auf! Keinen! Fall!

Und es sind nicht nur die Puzzleteile. In Kinderzimmern bildet sich scheinbar von selbst im Laufe der Jahre eine Art Ursuppe, deren Zusammensetzung bzw. Bestandteile man zwar als erwachsener Mensch sehen, aber niemals erfassen wird. Wie kommt es, dass Playmobilschwerter, Barbieschuhe, abgebrochene Buntstifte, Miniaturausmalbüchlein, Mitgebsel aus den Geburtstagstüten, Ü-Ei-Figuren, einzelne Haarspangen, Papierschnipsel, Puppenkleider und Legosteinchen eine Symbiose eingehen und sich zu einer Masse zusammenrotten? Wie kann es sein, dass diese Dinge das immer und immer wieder tun, egal wie oft man sie auseinander dividiert und jedes einzeln an seinen Platz zurück tut? Oder in den Müll? Tatsächlich bleibt das ein Geheimnis all dieser Miniaturstückchen, aus denen die Ursuppe besteht, die sich da in Kinderzimmern wie von selbst zusammen braut und vor der es kein Entkommen gibt.

Ich habe erwachsene Menschen gesehen, die weinend davor kapituliert haben. Eltern, deren Häuser aussehen, als wären sie aus dem Starschnitt der „Schöner Wohnen“ zusammengeklebt worden, klappten zusammen vor dem Schwall von Einzelteilen, der ihnen an der Schwelle der Kinderzimmer entgegen schwappte. Gestandene Mütter, die mit Leichtigkeit innerhalb von dreißig Minuten drei Kinder aus dem Bett, in die Klamotten, an die Zahnbürsten und mit gepackter Brotdose pünktlich an die Bushaltestelle kommandieren können, brachen in Tränen aus, als es an das Entwirren von Barbiehaaren, Polly-Pocket-Kleidung und Glitzerknete ging. Und Geschäftsmänner im Anzug, deren Netzwerke weit über die Grenzen nur eines Landes hinaus reichen, knieten haare raufend zwischen den in Einzelteile zerbrochenen Lego-Starwars-Bauten, die sich mit Schleichrittern, dem Inhalt des Drei Fragezeichen-Detektivkoffers und 16 verschiedenen Bey Blades zu etwas undurchdringlichem zusammen gerottet hatten.

Es ist die Kammer des Schreckens, ich weiß es. Alle Eltern wissen das. Wir haben es gesehen, wir waren schon oft dort. Es ist grauenvoll! Und egal, was wir versuchen, wir werden der Ursuppe nicht Herr. Wir kaufen verschiedenfarbige durchsichtige Plastikboxen zum Beschriften, die perfekt in die Regale unserer Kinder passen und ordnen jeder Spezies sorgfältig ihren Aufenthaltsort zu: Barbies gehen in die pinke Box und nehmen ihre Schuhe und Nixenschwänze mit, Legoritter wohnen in der roten Box und halten sich von den Zeichenutensilien fern, die nämlich in die grüne Box einziehen. So installieren wir ein gut durchdachtes System, das einfach zu handhaben ist und das auch unsere Kinder verstehen können, selbst wenn sie noch nicht in der Lage sind, die Aufschrift auf der jeweiligen Box zu lesen. Es ist ein Farbleitsystem, liebe Kinder, es ist eindeutig.

Und dann, wenn das ganze Kinderzimmer durch organisiert wurde und alle Einzelteile brav an Ort und Stelle sind, kommt die beste Freundin der Kinder zu Besuch. Oder der große Cousin. Die Nachbarskinder. Egal, wer. Wir fühlen uns sicher, wir haben ja ein System installiert, das eigentlich unfehlbar weil unmissverständlich ist. Und wir machen Ansagen wie „Natürlich dürft ihr mit dem Lego spielen, aber hinterher wird alles wieder aufgeräumt.“ Alle Kinder nicken verständig und scheinen genau zu verstehen, was wir meinen. Wir haben die Kontrolle, die Kammer des Schreckens ist bezwungen! Triumphierend verlassen wir das ordentliche Kinderzimmer und freuen uns an den aufgeräumten Bücherregalen in unseren Wohnzimmern und an kleinen ordentlichen Orten wie den sauber einsortierten Gewürzdosen im Küchenschrank. Hach! Alles atmet Struktur und System, wir sind die Sieger über das Chaos überall.

Zwanzig Minuten später fällt uns auf, wie ruhig es ist. Dass es doch seltsam ist, wie still die Kinder spielen, wo sie doch sonst so gern mal toben. Das ist verdächtig und ein Kribbeln in der Magengegend warnt uns vor: die Stille ist trügerisch, da läuft doch was! Wir pirschen uns an, wir öffnen die Tür zum Kinderzimmer und uns befällt im selben Moment ein nervöses Zucken im linken Augenlid, denn auf der Schwelle bereits begrüßt uns eine lange Schlange aneinander geknoteter Schals und Pullover, die sich ins Zimmer hinein windet und an deren Ende ein Kind sitzt, dessen Gesicht vollständig mit Wundheilsalbe zugekleistert ist. Der Rest des Fußbodens ist verschwunden unter einer Flut von Ursuppe, wie wir sie gerade bezwungen zu haben glaubten. Die Kinder sind glücklich, sie sitzen mitten in der Ursuppe und reagieren nicht weiter auf das irritierte Elternteil in der Zimmertür. „Wir spielen schön!“, ruft das Kind mit der Maske aus Popocreme im Gesicht nach einer kleinen Weile. „Wir räumen alles wieder auf, reg dich nicht auf, Mama!“

Da ist sie dann wieder, mit aller Macht bricht sie sich Bahn: die Kammer des Schreckens. Und wir verstehen, was wir vorher schon ahnten – es wird nie aufhören. Wir haben keinen Schimmer, wie wir das bezwingen wollen. Selbst Tine Wittler kann uns nicht helfen. Wir hatten nie den Hauch einer Chance.