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Katharina Martin
4 min. Lesedauer
31. Januar 2018

Die unsichtbaren Freunde

Am Sonntag hatte meine kleinste Tochter Besuch von zwei Freunden, mit denen sie den ganzen Tag spielte. Sie waren im Garten, auf der Schaukel, auf dem Trampolin und im Sandkasten, sie holten allerhand Puppen und Plüschtiere und Elfen aus ihrem Zimmer und saßen damit auf einer Picknickdecke. Sie begossen sich mit Wasser aus Gießkannen und Förmchen und übten wie die Wilden Radschlagen und Seilspringen. Nachdem sie auf diese Weise den ganzen Tag zugebracht hatten, lag es für mein Kind nah, die beiden am Abend auch zum Essen einzuladen. Sie halfen mir dann auch beim Tischdecken, suchten die Lieblingsbecher zusammen und falteten die Servietten zu schönen Arrangements. Dann kam der Sohn hinzu, schaute über den Tisch und fragte irritiert: „Wer isst denn heute alles mit? Sind ja so viele Gedecke?“ Daraufhin meine Kleinste: „Siehst du doch: Mama und Papa und wir wie immer. Und ich hab noch Isa und Mädschik eingeladen. Also sind wir sieben.“ Der Sohn guckte verwirrt und ich seufzte, denn ja, von den zwei Freunden, mit denen mein Kind seinen Sonntag verbrachte, ist nur einer für uns alle sichtbar, Isa, das Nachbarskind. Mädschik hingegen ist unsichtbar.

Ich weiß nicht, was es mit Mädschik auf sich hat, er/sie ist noch nicht lange auf der Bildfläche erschienen und ich bin deshalb noch nicht allzu vertraut mit seiner/ihrer Geschichte. Bisher wissen wir nur, dass Mädschik fliegen kann, Schokoküsse liebt und gerne Milchschaum vom Kaffee leckt. Nicht den Kaffee trinken, das mag Mädschik nicht, nur den Milchschaum ablecken. Sei’s drum. Wir sind da großzügig. Denn vor Mädschik gab es schon Lasagna, das war ein fliegendes Elfenkind, das in einem Blumenkasten auf dem Balkon schlief. Und es gab Slush, einen Hund, der sprechen konnte und der jede Nacht zum Schutz vor Hexen vor der Kinderzimmertüre lag und sie bewachte. Jetzt also Mädschik.

Was ist das nur mit diesen Kindergartenkindern? Sind sie so sehr in ihren Fantasiewelten gefangen, dass sie die Grenzen zur wirklichen Welt nicht mehr zu jeder Zeit spüren? Oder sehen sie wirklich Dinge jenseits dieser Grenze zur sichtbaren Realität, die ich nur nicht (mehr) wahrnehme, weil ich leider erwachsen bin? Mein Kind ist jedenfalls mit diesem kleinen Spleen nicht alleine. Nicht nur sind ihre unsichtbaren Spielgefährten auch für Nachbarskind Isa eine völlige Selbstverständlichkeit, die beiden glauben auch, dass sie fliegen können, zaubern und Dinge verwandeln, das Wetter beeinflussen und Butter schmelzen lassen. (Dass ich letzteres auch kann, weil ich einen Topf und einen Induktionsherd mein Eigen nenne, habe ich bisher verschwiegen.) Ich habe mich längst an all diese unsichtbaren Freundinnen und Tiere und Fabelwesen gewöhnt, also stelle ich auch für Mädschik einen Teller und einen Becher hin und gieße sogar Apfelsaftschorle ein.

Mein Sohn feixt ein bisschen „Mama, den gibt’s doch gar nicht in echt, diesen Mädschik!“, aber die Mädchen sagen, dass Mädschik mich nett findet und sich für die Schorle bedankt. Beflügelt von meinem Erfolg lege ich Mädschik ein Grillwürstchen auf den Teller und lächele siegessicher in die Runde. Aber an den Gesichtern der beiden kleinen Mädchen kann ich ablesen, dass ich was falsch gemacht habe. Grundfalsch. Am allerfalschesten! Entsetzen spiegelt sich darin und das Nachbarskind greift sich schnell das Corpus Delicti und legt es auf dem eigenen Teller ab. „Mama!“, schreit mein Töchterlein schrill, „bist du wahnsinnig? Du kannst doch Mädschik kein W Ü R S T C H E N geben!“ Ich bin verwirrt. Kann ich nicht? Warum kann ein Fantasiefreund wohl Apfelsaftschorle trinken aber kein Würstchen essen? Kopfschüttelnd aber wieder ein bisschen ruhiger legt mir mein Kind die Hand auf den Arm und sagt mit gesenkter Stimme: „Hast du das denn vergessen, Mama? Mädschik ist ein Schwein. Du kannst doch keinem Schwein ein Würstchen geben, das ist ja, als legst du mir ein Kind auf den Teller.“ Ein Schwein. Ach so. Ja, jetzt ist mir alles klar. Hätt ich auch gleich drauf kommen kaönnen, dass Mädschik, der fliegen kann, riesige Sprünge über Häuser macht, ein toller Schwimmer ist und angeblich Glitzerhaare hat, ein Schwein ist. Ist naheliegend. Oder?

Der Sohn kringelt sich vor Lachen an der Erde und fängt an, sich lauthals lustig zu machen: „Ein Schwein! Ihr habt euch ein fliegendes Schwein ausgedacht, das Mädschik heißt und zaubern kann! Ihr seid echt so bekloppt…!“ Die kleinen Mädchen sind beleidigt und stecken die Köpfe zusammen. Dann verkünden sie: „Mama, Mädschik verzeiht dir. Er weiß, dass du es nicht böse meinst und nur noch nicht gelernt hast, dass Zauberschweine Vegetarier sind. Er würde sich über Kartoffeln mit Quark freuen.“ Ich seufze und lege eine Ofenkartoffel auf Mädschiks Teller. Mit einem Miniaturklecks Quark. Als Friedensangebot.

Derweil steigert sich der Sohn derartig in seine Spottgesänge hinein, dass ich zu einem selten benutzten erzieherischen Mittel greife: ich muss ihn ein bisschen auf den Teppich holen. „Na, weißt du noch?“ sage ich zu ihm, „Weißt du noch, der Heimlich-Löwe?“ Augenblicklich ist er still. „Ich kann mich gut erinnern. Er mochte grüne Sachen wie Zucchini, grüne Äpfel, Salat und grüne Gummibärchen. Er war ein guter Skateboardfahrer, hatte Flügel an den Füßen und war nachts der Beschützer eines ganz bestimmten kleinen Jungen, der ihn als Einziger sehen konnte. Erinnerst du dich?“ Der Sohn nickt ein bisschen still und legt dann eine Tomate auf den Teller. „Für Mädschik“, sagt er. Die kleinen Mädchen strahlen ihn an. „Mit einem schönen Gruß vom Heimlich-Löwen.“