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Katharina Martin
Lesedauer 3 Min
31. Januar 2018

Ich bin der Bestimmer!

Kindergartenkinder mit ungefähr vier, fünf Jahren sind willensstark. Und meine sind es besonders! Sie sind in diesem Alter in einer Phase, in der sie denken, sie hätten die Welt verstanden und für den kleinen Ausschnitt Welt, den sie kennen, mag das auch zutreffen. Tatsächlich herausfordernd für mich als ihre Mutter ist das damit verbundene lautstarke Streben nach Autonomie, das natürlich auch kleinere Kinder schon haben, das aber in diesem Alter irgendwie einen besonderen Höhepunkt hat. Und ich habe das Gefühl, es hört überhaupt nicht mehr auf…!

Auf einmal sind die kleinen, kooperationsbereiten und eifrigen Menschen, die hier sonst mit mir leben, vollkommen uneinsichtig und kriegen lautstarke Nervenzusammenbrüche wegen irgendwelcher Nichtigkeiten. Aus meiner Sicht. Für meine Kinder ist es allerdings offenbar eine Frage auf Leben und Tod, welche Schuhe sie tragen, an welcher Stelle auf ihrem Teller wohl die Gurkenscheibe liegen darf und wer beim Klingeln die Tür aufmacht. Beim ersten Kind war ich noch ziemlich bestürzt, als dieser Moment in der Entwicklung eintrat, beim zweiten kannte ich es schon. Jetzt, bei meiner jüngsten Tochter, muss ich mich mitunter schon zusammen reißen, dass ich nicht laut lache, wenn sie ausflippt, weil „ich diese Gummistiefel nicht anziehen will, Mama, weil die doof sind und oben schlabbern und ich zieh die nie nie nie NIE WIEDER AN!“, zum Beispiel.

Aber es geht auch um wichtigere Dinge. Mein Kind will über sich selbst bestimmen und versucht, sich mir und meinen Anforderungen bzw. Vorstellungen gegenüber abzugrenzen. An sich ist das ja eine nicht nur ganz natürliche sondern auch wünschenswerte Entwicklung, denn schließlich möchte ich für meine Kinder, dass sie selbstbewusst und selbstbestimmt sind, dass sie wissen, was sie wollen und was nicht und dass sie auch ausdrücken können, was sie auf keinen Fall möchten. Das ist mir wichtig, auch weil ich denke, dass starke Kinder sich besser schützen und behaupten können, wenn sie in größeren Gruppen (Klassenverband, Sportverein etc.) bestehen müssen.

Ein großes Problem im Zusammenleben mit der ganzen Familie stellt natürlich der unbändige Wunsch nach Selbstbestimmung in dem Augenblick dar, in dem das Kind der Meinung ist, es könne und wolle nicht nur über sich selbst bestimmen, sondern wenn es schon mal dabei ist, über alle anderen gleich mit. Da kann man dann zugucken, wie solche „Bestimmer“-Anfälle eskalieren, denn das eine Bestimmerkind trifft ja auf noch mehr von seiner Sorte. Und dann gibt’s Bestimmer-Beef.

Deshalb haben wir bei uns zu Hause jede Menge Listen, die das regeln sollen. Listen, wo vermerkt ist, wer wann die Musik beim morgendlichen Frühstück auswählen darf. Listen, die darüber Auskunft geben, wer an welchen Tagen das Privileg hat, die Vorlesegeschichte auszusuchen. Wer wann zuletzt den Film ausgesucht hat. Welches Kind zuerst mit Oma und Opa am Telefon sprechen darf. Ich weiß, es klingt absurd, aber die Bestimmerei über sich und andere nimmt Formen an – die Listen sind der zugegeben hilflose Versuch von uns Eltern, dagegen zu halten und selbst die Bestimmer zu bleiben. Irgendwie.

„Ich bin mein eigener Mensch“, sagte mal die Tochter einer Bekannten, um ihr zu verdeutlichen, dass sie über gewisse Themen selbst bestimmen möchte. Das ist ein kluger Satz und er sollte von allen Eltern gehört werden. Mein Kind darf selbst bestimmen, wann es satt ist zum Beispiel. Es darf bestimmen, ob seine Haare lang oder kurz sind, ob es lieber Hosen oder Röcke tragen mag und welche Farbe die Schuhe haben sollen. In diesen Bereich der Selbstbestimmung fallen viele Themen, wo ich es für richtig und gut halte, wenn Kinder da nicht einfach übergangen werden.

Aber es gibt auch Dinge, da falle ich innerlich in Ohnmacht. Wenn beispielsweise in der Familie einer Bekannten mit vier Kindern jedes Kind sein eigenes Nutella-Glas hat, weil sich nicht darüber geeinigt werden kann, wer das Glas beim ersten Öffnen bedienen darf. Wegen des Geräuschs der Folie beim Öffnen. Und wegen dem ersten Messerstich in die noch unberührte Schokocreme. Really? Dann doch lieber Listen.