Eines Tage kam meine gerade 4-Jährige aus der Kita nach Hause und sprach: „Der Stego, das ist ein Pflanzenfresser und der T-Rex ist ein Fleischfresser, der ist der Fressfeind vom Stego und auch vom Langhals, aber das Gute ist, dass der T-Rex fast blind ist und die Pflanzenfresser nicht, also konnten sie ihn gut austricksen.“
Ich staunte und fragte mich, woher sie dieses Wissen hatte. Am nächsten Tag beim Bringen zeigte sie mir die Quelle für ihr Wissen: ein Buch über Dinos. Aber wie sich herausstellte, war das erst der Anfang.
Das Kind begann, sich zur Expertin für Dinos zu entwickeln und sammelte sich Wissen zusammen, wo und wie sie nur konnte. Innerhalb kürzester Zeit wusste sie alle lateinischen Namen für unzählige Arten von Pflanzen- und Fleischfresser, ihre Lebensdauer, Körpergröße, Lieblingsfutter und die Zeit, in der sie gelebt hatten. Und das alles, ohne Lesen zu können. Genau zu dieser Zeit unternahmen wir eine Reise in die USA und besuchten mit ihr das naturkundliche Museum in New York: das gab ihr den letzten Kick. Im dortigen Museumsshop kauften wir ihr ein Dino-Wissens-Quartett und von nun an gab sie ihr Wissen auch noch auf Englisch wieder.
Was wir damals noch nicht wussten: unser Kind zeigte ein typisches Verhalten für dieses Alter. Denn genau in dieser Zeit, im besten Kindergartenalter, vertiefen sich Kinder unwahrscheinlich gerne in Sachthemen und werden so zu kleinen Experten. Was ich bei meiner ersten Tochter noch ein bisschen verwundert bestaunte und mich schon ängstlich fragte, ob das schon Hochbegabung oder noch normal wäre, erkannte ich dann bei Kind Zwei und Kind Drei wieder: der Sohn wurde Experte für Insekten, vor allem für Bienen und die kleinste Tochter vertiefte sich mit Inbrunst in die Welt der Pferde – ihre Entstehungsgeschichte, die Rassen, Stockmaße undsoweiter. Es war unglaublich, mit welchem Detailwissen diese kleinen Gehirne sich binnen kürzester Zeit füllten. Auch bei anderen außer meinen eigenen Kindern habe ich dieses Phänomen oft beobachtet. Und dann, nach einer Weile, in der es scheinbar nichts anderes gab als Dinos oder Pferde oder Bienen, lassen die kleinen Experten einfach los: ihr Blickfeld erweitert sich wieder und sie richten ihr Interesse auf einmal auf wesentlich mehr Dinge, als nur auf das eine. Und dabei verflüchtigt sich das Detailwissen über das vorherige Spezialgebiet wieder. Nicht vollständig, aber es reduziert sich doch beträchtlich.
Die Dinophase meiner Großen ist nunmehr 9 Jahre her und sie weiß kaum noch etwas darüber, schon gar keine lateinischen Namen. Ihr Wissen ist inzwischen viel weniger speziell, dafür eher universell. Der Sohn liebt Bienen noch immer, aber alle anderen Insekten sind ihm inzwischen nicht mehr so wichtig. Und auch die Pferdespezialistin ist nicht mehr so tief im Thema und weiß stattdessen auch sehr viel über Waldtiere, die alten Ägypter und Kinderrechte.
Die Kindergartenphase der kleinen Spezialisten ist nur kurz, aber sehr eindrucksvoll. So als würde das kleine Gehirn das Intensivieren üben, bevor es sich für viele Themen öffnet – für eine ganze Welt. Es ist wunderschön, das zu beobachten und für eine kleine Weile den kleinen Herren und Damen Professoren zu lauschen bei ihren Expertenvorträgen.