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Katharina Martin
Lesedauer 4 Min
31. Januar 2018

Mama, war ich auch mal klein? Philosophische Gespräche mit Kindern

Ferienzeit mit meinen Kindern bedeutet mehr Zeit zusammen. Wir schlafen länger und haben Zeit für Gekuschel am Morgen im großen Bett, wir frühstücken ausführlicher und reden am Esstisch über wichtige Dinge, wir erleben jeden Tag viel Neues zusammen und besprechen es, wenn der Tag zu Ende geht. Dadurch, dass alle Alltagsroutine aufgebrochen wird, erfahren wir wieder viel mehr mit- und voneinander. Und es bleibt tatsächlich auch mehr Zeit und Raum für kleine philosophische Gespräche mit meinen Kindern, die ich so liebe…

Beim Spaziergang durch das französische Städtchen Vaison-la-Romaine letzte Woche, haben wir unter anderem eine alte Kirche besucht und Kerzen aufgestellt. Das machen wir immer, wenn wir an einer Kirche vorbei gehen und meine Kinder zünden dann die Kerzen für ihre verstorbene Oma und die Urgroßeltern an und wir sitzen so ein bisschen da und reden. So auch dort. Und weil die Kirche leer war und wir die einzigen Besucher dort, konnten wir uns gut unterhalten. Die beiden Kleinen fragten mich mal wieder nach meiner Mutter, wie das war, als ich klein war und was die Oma gesagt hat, als sie, die Enkelkinder geboren wurden. Ich habe diese Geschichten schon gefühlt tausend Mal erzählt, aber auch das ist ein Ritual, das wir genießen und brauchen, um uns gemeinsam zu erinnern.

Ich erzähle also davon, wie ich ein kleines Mädchen war und was meine Mama mit mir unternommen hat, welche Geschichten sie erzählt hat und wohin wir verreist sind, so wie ich jetzt mit ihnen. Sie hören zu und fragen nach. Und dann beziehen sie das Gehörte auf sich.

„Waren wir auch mal klein, Mama?“

„Ja, natürlich. Ihr wart ganz, ganz klein in meinem Bauch und seid dort gewachsen, bis ihr groß genug wart, um geboren zu werden.“

„Waren wir so kleine wie eine Mücke? Wie eine Traube? Wie eine Avocado?“

„Ja, genau. Erst wie eine Mücke, dann wie eine Olive, dann wie ein Pfirsich, wie eine Avocado, wie eine Orange, dann eine Babyananas, eine Melone und irgenwann wart ihr groß genug.“

„Aber wo waren wir vorher? Also BEVOR wir wie eine Mücke in deinem Bauch waren? Jetzt sag nicht das mit den Eierchen und den Samenfädchen, das wissen wir schon. Wo waren wir VORHER? Bevor wir Eierchen in deinem Bauch waren?“

Das ist der Moment, wo ich ins Schleudern gerate, denn darauf habe ich ja nun wirklich keine Antwort – jedenfalls keine gute. Aber zum Glück ist da ja nicht nur ein wissbegieriges, fantasievolles Kind, sondern sie sind zu Dritt und beantworten sich viele ihrer Fragen gegenseitig. Oder sie entwickeln zusammen eine Idee zu ihrer jeweilige Frage. Auch diesmal springen die Geschwister ein und geben das Stichwort für die Erklärungsversuche.

„Das weiß ich“, sagt die Kleinste. „Ich weiß noch, wo ich war, bevor ich wie eine Mücke in Mamas Bauch war.“

„Wo denn?“, wollen die beiden Großen wissen. „Du kannst dich doch unmöglich erinnern!“

„Doch, ich weiß es noch. Ihr habt das vielleicht vergessen, aber ich nicht. Weil es bei mir noch nicht so lange her ist, wie bei euch. Also. Als Gott sich die Welt ausgedacht hat, hat er alle Sachen in die Erde gelegt, wie kleine Körnchen, aus denen was wächst. Bäume, Blumen, Berge, das Meer auch und alle Flüsse. Und eben die Menschen. Und alle wussten, was sie werden sollen und sind gewachsen.“

„Quatsch, wir sind doch nicht aus der Erde gewachsen wie ein Baum! Du bist ja verrückt!“

„Nein, nicht wie ein Baum: wir kamen rausgewachsen aus der Erde und dann waren wir Luft. Wie ein Geist. Versteht ihr? Und dann sind wir so rumgeflogen und konnten alles sehen, die ganze Welt und alle Menschen. Und als Gott uns gerufen hat, sind wir gekommen, haben uns Mama und Papa angeguckt, weil, die wollten uns ja unbedingt haben, und dann fanden wir sie gut als Eltern und dann sind wir erst Eierchen geworden. So ist das.“

Ein bisschen reden die Kinder noch hin und her, ob sie daran glauben oder nicht und ob sie sich vielleicht nicht doch sogar erinnern können an diese Zeit, in der sie Luftgeister waren oder Körnchen in der Erde. Auch darüber, wie das war als Eichen in meinem Bauch. Oder als Mücke. Als Avocado.

Und ich höre ganz still zu und staune. Und hoffe, dass ich mir das alles merken werde, wenn diese Kinder mal ganz und gar vernünftig geworden sein werden und nicht mehr an diese fantastischen Welterklärungsversuche glauben werden. Dass ich es aufschreiben muss, um es nicht zu vergessen. Und ich wünsche mir mehr Ferien, mehr Kerzen, mehr ruhige Gespräche mit meinen verrückten Kindern, denen ich aufs Wort glaube, dass sie mal Luftgeister waren, bevor sie zu meinen Kindern wurden. Denn das klingt ja genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie alles andere, oder?