Es war ein heißer Frühsommertag vor knapp dreizehn Jahren, ich schob mein wenige Wochen altes Baby im Kinderwagen durch meine neue Nachbarschaft. Unter einem Baum setzte ich mich auf eine Parkbank, den Kinderwagen stellte ich sorgsam im Schatten ab, denn es war wirklich heiß und ich wollte verhindern, dass die Sonne auf mein Neugeborenes knallte. Das lag selig schlummernd in seinem kleinen Schutzraum, unter dem Verdeck geschützt vor der Sonne, in leichte Baumwolle gekleidet und eine dünne Mullwindel über die nackten Beinchen gebreitet. Ich war seelisch gerade ziemlich im Lot, zumindest für den Moment hatte ich nämlich das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Die Situation war ruhig und scheinbar einfach zu handlen und das kostete ich aus, denn hinter mir lagen Wochen voller Unsicherheit mit meinem Säugling, einem Umzug in eine fremde Stadt, wo ich keinen kannte, außer meinem Mann, der sich aber seinem neuen Job widmen musste und den stetigen Sorgen um mein Baby, das nicht ausreichend zunahm und nicht gut stillte.
Es war also ein seltener Moment, vielleicht sogar einer der ersten seiner Art, in dem ich mich als Mutter okay fühlte. Noch nicht sicher, noch nicht selbstverständlich oder gar erfahren, aber okay. Immerhin das. Dann schlenderte eine andere Mutter herbei, ein Baby im Tragetuch, dessen bestrumpfte Füßchen aus dem Tuch rausguckten, ein Kindergartenkind an der Hand, das mit Sonnenhut und eisverschmierter Schnute fröhlich neben seiner Mama her spazierte. Ich freute mich an dem Bild und es machte mir auch Mut: da kam eine, die es im Griff hatte, ganz offensichtlich. Und ich schöpfte Hoffnung für mich selbst und lächelte sie an. Sie lächelte auch und warf einen wohlwollenden Blick in meinen Kinderwagen. Dann, ganz plötzlich, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie sagte mit Sorgenfalte auf der Stirn: „Sie wissen aber schon, dass Säuglinge besonders schnell über die Füßchen auskühlen? Ihr Baby hat keine Söckchen an, das d ü r f e n Sie nicht!“
Ich war zu perplex, um etwas zu sagen und sie zog auch schon weiter. Aber ich hatte soeben meine Taufe erhalten, denn das war meine erste Begegnung mit dem, was landläufig unter „Mommy Wars“ verstanden wird: Mütter, die sich gegenseitig maßregeln und in jedem Abweichen anderer Mütter vom eigenen Erziehungsweg einen persönlichen Affront gegen die individuelle Erziehungspersönlichkeit sehen – ihre Erziehungspersönlichkeit natürlich, die es unter allen Umständen gilt zu verteidigen. Zum besten des Kindes, selbstverständlich.
Im Laufe meines Mutterseins ist mir das noch öfter begegnet, in unterschiedlichen Versionen und vor allem im Internet, in diversen Mütterforen oder auf Facebook in Still-, Ernährungs- oder sonstigen Gruppen für Mütter. Es scheint, dass sich die Mütter in Lager aufteilen: die Tragemamis gegen die Kinderwagenmütter, die Langzeitstillenden gegen die Flaschenmütter, die Stoffwindelvertreterinnen gegen die Pampersfraktion, die Stay-at-Home-Moms gegen die berufstätigen Mütter, die Mehrfachmütter gegen die Mamas von Einzelkindern, die Hausgeburtsverfechterinnen gegen die Kaiserschnittmütter, die Helicopter-Mütter gegen die Free-Range-Mamas, die strengen Tiger-Moms gegen die Attachment-Parenting-Muttis, Familienbett versus Schlafen im eigenen Kinderzimmerundsoweiterundsofort…
Diese Liste kann man endlos weiter führen und je älter meine Kinder werden, um auf so mehr vermeintliche Gegensätze und Lager stoße ich. Man könnte meinen, Mütter definieren ihren eigenen Erziehungsstil und ihre Entscheidung bei der Aufzucht ihrer Kinder vor allem als Gegenentwurf zu anderen Müttern. Ein bisschen stimmt das sicher, denn natürlich bringt Abgleich auch Abgrenzung mit sich und schärft das eigene Profil: wenn ich weiß, was ich auf keinen Fall will, weiß ich schon ein bisschen mehr darüber, wie ich es denn stattdessen gerne machen möchte. Und ja, es gibt sie, diese Mütter, die scheinbar alle anderen weg beißen möchten, die andere Entscheidungen über Kindererziehung treffen, als sie selbst.
Wie an allen Klischees ist auch an dem Klischee über Mommy Wars etwas dran. Sie sind existent. ABER. Viel häufiger als die viel beschworenen Mommy Wars erlebe ich seit ich selber Mutter bin Solidarität unter Müttern. Frauen, die sich gegenseitig unterstützen, die sich gelten lassen in all ihrer Verschiedenheit. Mütter, die sich gegenseitig die Kinder abnehmen und die sich gegenseitig Auszeiten gönnen. Die sich dabei helfen, Freiräume zu schaffen. Es gibt ganze Netzwerke von Müttern, im realen Leben wie im Netz, die sich mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die sich nicht verurteilen, sondern die die Situation der anderen sehen, erkennen und einfach annehmen.
Ich habe in meinen knapp 13 Jahren als Mutter ein Mal eine Ahnung von Mommy Wars im echten Leben gespürt und habe im Netz einige Aussetzern gesehen und gelesen, die man ebenfalls unter diesem viel strapazierten Schlagwort zusammen fassen könnte. Aber tatsächlich habe ich viel mehr Unterstützung, Zuspruch und auch Applaus von anderen Müttern bekommen, als Kritik und Anfeindungen.
Und was ich für mich selbst daraus mitnehme ist so einfach wie zentral: wir werden keine anderen Menschen, nur weil wir Mütter werden. Unsere Überzeugungen ändern sich in der Regel nicht fundamental und wir drehen uns nicht plötzlich auf links, nur weil wir ein Kind geboren haben. Wir unterscheiden uns von anderen Müttern genauso wie von allen anderen Menschen, denen wir im Leben so begegnen. Und das ist okay. Das ist sogar ganz und gar richtig, denn wir sind nun mal Individuen – und alle anderen sind es auch. Es bringt mich viel weiter, wenn ich das akzeptiere und andere Menschen, andere Mütter ihre eigenen Entscheidungen treffen lasse, ohne diese sofort auf mich zu beziehen. Es hat nichts mit mir zu tun, wenn eine andere Mutter ihrem Kind im Sommer Socken anzieht und ich nicht. Es ist kein Angriff auf mich als Kinderwagenmama, wenn eine andere Mutter entscheidet, ihr Kind im Tragetuch zu tragen. Es bedroht mich nicht, es bringt mich nicht in eine Art Konkurrenzstellung zu der anderen Mutter und es sagt auch nichts darüber, ob ich eine gute Mutter bin oder eine bessere oder schlechtere als die andere. Kein bisschen.
Mein Maßstab ist mein Kind. Meine Familie. Wenn es für uns passt, wenn alle gesund und glücklich sind und gut zurecht kommen, dann ist es jedenfalls nicht völlig verkehrt, was ich mache. Und der Maßstab anderer Mütter sind eben ihre Kinder, nicht meins. Mit diesem Bewusstsein komme ich jedenfalls ziemlich gut ohne Mommy Wars durch Kita- und Schulzeit.
Und ich bin im Nachhinein froh, dass mir damals keine passende (mit Sicherheit spontan giftige) Antwort eingefallen ist, als die fremde Mutter mich wegen der fehlenden Söckchen meines Babys quasi ermahnt hat. Heutzutage weiß ich nämlich, dass sie es wahrscheinlich eigentlich gut gemeint hat und sich ihrer Grenzüberschreitung gar nicht bewusst war. Ohne eine Erwiderung meinerseits sind wir beide unserer Wege gegangen und haben jede ihr Ding gemacht und uns nicht in eine Diskussion zu einem Thema verstrickt, zu der ohnehin jede ihre persönliche Meinung hat. Damit ist nämlich nichts erreicht, für keine der Beteiligten – inklusive die Kinder. In meinem Mutter-Dasein haben Mommy Wars jedenfalls keinen Platz.