home icon
Katharina Martin
Lesedauer 5 Min
31. Januar 2018

Suppenkasper! Wenn Kleinkinder mäkelige Esser sind

Als mein Sohn sich abstillte, war er etwa 6 Monate alt. In kleinen aber bestimmten Schritten folgte er, mein zweites Kind, seiner großen Schwester auf dem Weg zur festen Nahrung. Alles, was sie aß, fand er hochinteressant und wollte es auch testen.

Anders als bei meiner großen Tochter, wo ich noch penibel allen Ernährungsratschlägen zur Beikost folgte und die nie einen Krümel Zucker vor ihrem zweiten Geburtstag auf der Zunge hatte, war ich bei meinem Sohn lockerer. Er ließ sich ohnehin nicht von mir betrügen: er erkannte stets genau, ob das, was ich ihm anbot, exakt dasselbe war, was seine große Schwester bekam oder etwa eine Babyvariante, verpackt als „echtes Essen“. War das der Fall, verweigerte er konsequent die Nahrungsaufnahme, bis er sicher war, dass er das gute Zeug hatte und nichts anderes.

Ich muss sagen, ich war sehr begeistert von seiner unkomplizierten Art vorurteilsfrei alles zu probieren, was es gab: Risotto mit Zucchini, Nudelsuppe, Hühnerfrikassee, Kartoffelstampf mit Möhren, Fischfilet, Müsli mit Obst undsoweiter. So wie er vorher ein umkompliziertes Stillkind gewesen war, schien auch seine Hinwendung zur festen Nahrung komplikationsfrei zu verlaufen und ich wollte mir schon gratulieren, weil ich diesen Erfolg meiner eigenen mütterlichen Erfahrung und meiner Coolness in Essensdingen zuschrieb.

Dann wurde er 15 Monate alt und von einem Tag auf den anderen war es vorbei. Er reduzierte schnell die ganze Bandbreite seiner Ernährung auf vier Dinge: nackte Nudeln mit einem Hauch Butter, Apfel, Käsebrot ohne Butter, Naturjoghurt mit einem Klecks roter Marmelade und weich gekochte Eier. Das war’s. Hatte er zuvor alles probiert und scheinbar gemocht, verweigerte er jetzt alles, außer diesen fünf Dingen – und ich verstand die Welt nicht mehr.

Was war passiert? Was hatte ich falsch gemacht? Welches seiner Zeichen hatte ich missinterpretiert? Und die wichtigste Frage, die mich beschäftigte: was konnte ich tun, um ihn zurück zur Vielfalt zu führen?

Ich setzte auf die Kost der großen Schwester, wie zu Anfang. Für einen Moment schien es zu klappen, wenn auch sie es war, die ihn fütterte. Aber das war ja kein Dauerzustand. Ich versuchte es, indem ich in die von ihm gewählte Basiskost andere Dinge hineinmischte oder versuchte, sie darin zu verstecken: kleine Gemüsestückchen in den Nudeln, Obst im Joghurt, Frischkäse unter dem Schnittkäse, eine andere Brotsorte…. Er merkte es jedes Mal und protestierte sofort bzw. verweigerte. Ich sah dann davon ab, bei seinen fünf selbstgewählten Basics in Sachen Ernährung irgendwie zu variieren, aus Angst davor, er könnte diese dann irgendwann auch nicht mehr akzeptieren. Was hätte ich dann gemacht?

Es war schwer. Ich machte mir Sorgen über seinen Vitamin- und sonstige Haushalte und auch über seine Geschmacksentwicklung. Wie sollte er lernen, dass Vielfalt etwas Schönes ist, wenn er stets dasselbe aß? Ich machte mir auch immer noch Vorwürfe und dachte darüber nach, ob ich mich vielleicht strenger hätte an die Beikostpläne halten sollen: hatte ich ihn überfordert mit zu früher und zu großer Auswahl? Aber ich sah, dass er gesund und fröhlich war, dass er zunahm und mit Freude aß – eben nur diese fünf Dinge. Weiterhin saß er mit uns am Tisch und schaute zu, was wir anderen alles aßen. Das schien ihm zu gefallen, auch wenn er nicht länger das Bedürfnis hatte, alles auch selbst zu probieren.

Und dann kam der Tag. Er war knapp zwei Jahre alt und saß wie immer mit uns am Tisch, als er plötzlich verlangte, er wolle von meinem Joghurt probieren, einem Naturjoghurt mit Honig, Feigen und Walnüssen, das ich mir gerade zubereitet hatte. Die Überraschung war für uns beide groß: er probierte, es schmeckte ihm und er aß meinen ganzen Joghurt auf. Von diesem Tag an erweiterte er sein Spektrum vorsichtig aber stetig. Er kehrte zurück zu solchen Basics wie Kartoffeln mit Quark oder Spinat, Rührei, Risotto mit Gemüse und Stulle mit Wurst oder Streichkäse.

Ich war erstaunt und erleichtert und hatte etwas wichtiges gelernt: es kam nicht so sehr darauf an, was in irgend welchen Beikostragebern stand oder was ich wichtig und richtig fand. Er hatte selbst herausgefunden, was zu welcher Zeit für ihn richtig war. Mein Beitrag war gewesen, ihn dabei zu beobachten, ein breites Angebot für ihn zur Verfügung zu stellen, aus dem er jederzeit hätte wählen können und darauf zu achten, dass es ihm auch gesundheitlich gut ging. Dazu hatte ich übrigens auch meinen Kinderarzt befragt, der mich diesbezüglich immer wieder beruhigte. Mit dem Sohn war alles in Ordnung.

Heute ist er 8 Jahre alt, liebt Zucchini und Möhren, hasst aber Erbsen und Bohnen. Er mag keinen Fisch, dafür fast jede Sorte Obst und alles an Brot, was es gibt. Immer noch mag er lieber Käse als Wurst auf dem Brot und Nüsse isst er inzwischen gar nicht mehr. Joghurt mit Marmelade und weichgekochte Eier gehören nach wie vor zu seinen Lieblingsdingen, aber es gibt unzählige Dinge, die er genauso gerne mag.

Meine jüngste Tochter hat übrigens zwei Jahre später ein ganz ähnliches Verhalten in einem ähnlichen Alter gezeigt, nur nicht so absolut wie ihr Bruder. Beide haben früh viel probiert und sich dann auf überschaubare Basics eingeschränkt, bevor sie wieder anfingen ihr Spektrum zu erweitern. Heutzutage weiß ich, dass ich viel weniger falsch gemacht habe, als ich damals dachte. Ich habe gut auf meine Kinder geschaut und darauf geachtet, dass sie gesund sind und sich gut entwickeln. Und ich habe offenbar rechtzeitig darauf verzichtet, sie mit Essen zu quälen bzw. ihnen Dinge aufzuzwingen, die sie offensichtlich nicht mochten, nur weil ich dachte, das müsste so ein. Ich habe ihnen vertraut und sie begleitet. Das war in dieser Situation mein Job als ihre Mutter.

Ein „Suppenkasper“ ist eben noch lange kein aufmüpfiger Verweigerer von liebevoll zubereiteter Hausmannskost, sondern viel öfter einfach ein Kind, das noch nicht herausgefunden hat, was es wirklich mag und noch ausprobieren muss. Für uns Eltern ist das manchmal schwer auszuhalten, dennoch ist das genau unsere Aufgabe: es auszuhalten und unsere Kinder dabei zu begleiten, ohne sie zu drangsalieren. So wird aus einem Suppenkasper eher wieder ein Gerne-Esser statt einem ewigen Mäkler bei den Mahlzeiten. Und allen schmeckt es am Familientisch wieder.

Diese Produkte könnten dir gefallen