Zur Einschulung bekam mein Sohn ein Schnitzmesser. Natürlich, die Schultüte war toll (vor alle ihr Inhalt) und der neue Schulranzen auf dem Rücken machte ihn stolz. Die erste Armbanduhr gab es auch, auch über die hat er sich sehr gefreut. Aber als der Opa am Einschulungstag ein Geschenk überreichte und ein Schnitzmesser für Kinder zum Vorschein kam, gab es kein Halten mehr. Er war hingerissen!
Ich war ja zuerst alles andere als begeistert und verfluchte leise meinen Vater wegen seiner Geschenkidee. Denn er würde sich nach dem Einschulungswochenende wieder in seinen fernen Westerwald verabschieden, während ich hier vor Ort damit beschäftigt sein würde, das Kind davon abzuhalten, sich mit dem Schnitzmesser die Finger zu amputieren. Aber die Begeisterung meines Sohnes war ungebrochen und so kamen wir nicht umhin, mit ihm ein paar Regeln abzusprechen, wenn wir ihm das Schnitzmesser nicht gleich wieder abnehmen wollten.
Da ich ohnehin Anhängerin des Erziehungsgrundsatzes von Montessori bin „Hilf mir, es selbst zu tun“, machte es für uns sehr viel Sinn, mit ihm gemeinsam die Regel festzulegen, nach denen er sein Messer benutzen konnte und so ein Stück mehr Selbstverantwortung lernen kann. Wir sprachen über die Gefahren und die Verantwortung, die es mit sich bringt, wenn man ein Messer besitzt, auch wenn es „nur“ ein Schnitzmesser für Kinder ist, das eine abgerundete Spitze hat. Herausgekommen sind ungefähr folgende Regeln:
Du schnitzt niemals, ohne dass ein Erwachsener in deiner Nähe Bescheid weiß.
Das Messer geht nicht mit in die Schule.
Mit dem offenen Messer wird nicht herumgelaufen. Wenn du in den Garten oder vors Haus oder in den Wald gehst, steckt das Messer in der ledernen Scheide und hängt an deinem Gürtel.
Das ist ein Schnitzmesser, keine Waffe. Wenn du damit jemanden bedrohen solltest, selbst wenn es im Spiel passiert, musst du das Messer abgeben.
Beim Schnitzen schnitzt du immer vom Körper weg.
Es werden nur Äste und Stöcke von draußen beschnitzt. Möbel und alle Gegenstände im Haus sind tabu und werden nicht mit dem Schnitzmesser traktiert.
Falls du dich nicht an die Regeln hältst, wird das Messer bis auf weiteres abgegeben.
Mit diesem Set-Up von Regeln ließen wir ihn mit seinem Messer hantieren – natürlich nicht, ohne genau hinzuschauen. Denn Erziehung zur Selbstverantwortung bedeutet eben auch, dass man die Kinder begleitet. Sie können in diesem Jungen Alter schlicht manche Dinge noch nicht wissen und wieder andere wollen ausprobiert werden, da nützt der schönste Vortrag von Mama oder Papa nichts. Es ist also ratsam, in der Nähe zu sein, sich zu interessieren, was die Kinder da tun, dabei zu sein, wenn sie etwas Neues ausprobieren wollen. Nicht, um sie unbedingt zu regulieren, aber um zu sehen, was sie umtreibt und abschätzen zu können, ob sie alleine klar kommen oder nicht.
Der Sohn kam gut klar. Mit der Hilfe seines anderen Opas schnitzte er Pfeil und Bogen, spitzte Stöcke an und versuchte sich an kleinen Figuren aus weichem Holz. Eines Tages kam dennoch der Moment, in dem er Quatsch machte damit. Das war klar und das ist auch normal. Und genau in diesem Moment war es wichtig, dass wir dabei waren. Dass wir mitkriegten, was er da machte und was ihn umtrieb. In diesem Moment sprachen wir noch einmal miteinander, erinnerten ihn an die Regeln, besprachen, warum sie wichtig sind und dass alle Menschen solche Regeln einhalten – oder es zumindest sollten.
Wir werden ihn sicher noch häufiger an die Regeln erinnern müssen und ebenso wird er sicher immer wieder versuchen, die Regeln auszudehnen oder seinen Spielraum zu erweitern. Und wie mit allen Themen beim Großwerden von Kindern werden wir auch hier immer wieder überprüfen, möglicherweise neu entscheiden, argumentieren, erklären und aushalten. Aber auf diese Weise lernen die Kinder im geschützten Rahmen den Umgang mit heikleren Themen im Leben, damit sie sie irgendwann gut selbst bewältigen können, ohne größere Pannen. Oder amputierte Finger. Läuft hier bisher ganz gut.
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