„Darf es für Sie etwas zu trinken sein“? „Einen Tomatensaft bitte“. Diese Sätze hört man immer wieder im Flugzeug, hoch über den Wolken, wenn die Crew mit dem Service beginnt und die Gäste mit Getränken versorgt werden. Und sobald jemand den roten Gemüsesaft ordert, lässt sich beobachten, wie damit eine Kettenreaktion ausgelöst wird und viele der umliegenden Passagiere das gleiche bestellen. Allein die Lufthansa schenkt jährlich knapp zwei Millionen Liter aus – mehr als Bier. Ein Phänomen, denn Tomatensaft hat nur im Flieger Hochkonjunktur, auf dem Boden wird er meist verschmäht und fristet in den Supermarktregalen ein klägliches Dasein. Doch woran liegt das?
Genaue Untersuchung Das wollte auch die Lufthansa AG genauer wissen und beauftragte im Jahr 2010 das renommierte Fraunhofer Institut damit, im Rahmen einer sensorischen Studie der Sache auf den Grund zu gehen. Dazu wurde in einer Unterdruckkammer ein Fluglabor eingerichtet, in dem man wie bei einem Flug in großer Höhe Luftdruck, Kabinenaußenwandtemperatur, Feuchtigkeit, Geräuschpegel, Vibration, Licht und Luftzirkulation simulieren konnte. 100 Probanden bekamen verschiedene Speisen und Getränke serviert, erst unter normalen Druckverhältnissen auf dem Boden, dann im Fluglabor unter realen Kabinenbedingungen. Das Ergebnis war verblüffend: Milde Speisen benötigten bei Kabinendruck deutlich schärfere Gewürze als auf dem Boden. Salz zum Beispiel wurde um 20- bis 30 Prozent weniger intensiv empfunden, Zucker um 15- und 20 Prozent. Die Wahrnehmung fruchtiger Aromen hingegen blieb stabil. Darin liegt auch die Erklärung für das Tomatensaftphänomen. Als muffig und erdig beschrieben ihn die Testpersonen bei Normaldruck, unter geringem Kabinendruck wurden ihm ein angenehm fruchtiger Geruch, ein süßer Geschmack und eine wohltuende Kühle attestiert. Der Tomatensaft profitiert also vom Rückgang des Aroma-Empfindens, das durch den Druckverlust ausgelöst wird. Wer hätte das gedacht?
Neuste Erkenntnisse Aber damit scheint das Rätsel nur zum Teil gelöst. Forscher der US-amerikanischen Cornell-Universität beschäftigten sich in diesem Jahr wieder mit dem Thema und fanden heraus, das es die lauten Geräusche in der Kabine sind, die den Durst auf Tomatensaft beflügeln. Der Lärm der Triebwerke würde den fünften Geschmackssinn (Umami) stimulieren, der auf volle, würzige und herzhafte Aromen reagiere, also besonders auch auf Tomatensaft. Dem genauen Zusammenhang zwischen Lärm und Geschmacksempfinden wollen die Forscher weiter nachgehen.
Wie auch immer die Ergebnisse auch sein mögen, für Fluggäste ist in der Regel nur eines wichtig: Das der Saft frisch und kühl ist und einfach schmeckt.