Kinder sind grausam. Das wissen alle Eltern, die schon mal beobachten konnten, wie ihr geliebter Nachwuchs im Sandkasten einem Nachbarskind die Schüppe gnadenlos über den Kopf zieht. Aber womit man als Eltern zunächst nicht rechnet ist die Schonungslosigkeit, mit der die eigenen Kinder einen bloßstellen können. Und da rede ich nicht über Trotzanfälle im Supermarkt, rausgestreckte Zungen im Vorbeifahren oder öffentliches Popeln. Nein, richtig krass wird es, wenn die lieben Kleinen anfangen, Intimitäten in der Öffentlichkeit wiederzugeben oder Familieninterna auszuplaudern. Und, der Worst Case: wenn sie an der Supermarktkasse mit überdurchschnittlich vielen Dezibel Fragen stellen wie:
„Mama, wie ist das Baby überhaupt da rein gekommen?“
Die Leute um einen her horchen auf, manche schadenfroh und manche mitleidig. Dann steht man da, den schwangeren Bauch wie ein für alle sichtbares Zeichen vor sich hertragend: „Diese Frau hatte bereits Sex! Mit Folgen!“, das eigene Kind wie die personifizierte Anklage. Und dann komm mal da wieder raus…
Diese Situation habe ich original mit meiner großen Tochter erlebt, da war sie fünf Jahre alt und ich war schwanger mit ihrer jüngsten Schwester. Zwei Jahre zuvor, als der kleine Bruder in meinem Bauch heranwuchs, interessierte sie dieser Aspekt noch überhaupt nicht. Da war sie voll und ganz mit der Frage beschäftigt, wie er denn da wieder rauskäme. Aber im fortgeschrittenen Alter von 5 beschäftigten sie die Dinge, die wir zwei Jahre zuvor ausgelassen hatten.
Ich antwortete sowas wie: „Lass uns das mal in Ruhe besprechen, Kind. Das ist jetzt hier nicht der richtige Ort…“ Albernes Gekicher von der Kassiererin und diversen Miteinkäufern in der Schlange vor und hinter mir, große Augen beim Kind. Später im Auto habe ich mich dann an ersten Erklärungen versucht. Über Liebe und körperliche Nähe habe ich gesprochen, weil ich die Ansicht vertrete, dass man die Kinder nicht anlügen muss, sondern kindgerechte Erklärungen finden, die dennoch der Wahrheit entsprechen. Sie lauschte, staunte, schüttelte den Kopf und entnahm meiner Erklärung dann vor allem, dass das mit dem Baby in dem Bauch irgendwie seinen Ursprung in einer kollektiven N a c k t h e i t ihrer Eltern hatte. Das wiederum versetzte sie in große Heiterkeit:
„Mama, macht ihr das etwa nackt? Also ganz nackt? Das ist ja vielleicht bescheuert!“ (Nun, damit hat sie vielleicht gar nicht so unrecht…)
Und dann folgte ihre Zusammenfassung – und zugleich der Ausdruck ihres innerlichen Kopfschüttelns über meine Uninformiertheit und Unwissenheit.
„Mama, also das ist doch alles Quatsch. Jeder weiß doch, dass ein Baby entsteht, wenn ein Ei im Bauch von der Mama und ein… ääähh…. so ein S a m e n p f e r d c h e n zusammen kommen. Die tun sich dann zusammen und da wächst dann ein Baby in deinem Bauch. Aber wie das Samenpferdchen zum Ei kommt, das geht doch ganz anders, Mama. Das schwimmt nämlich durch die Gegend in einem Wasser. Das macht es immer, den ganzen Tag. Und dann, irgendwann, wenn ihr schlaft, du und der Papa, dann schwimmt das rüber zu dir und klettert in deinen Nabel. Da gibt es eine Leiter runter in den Bauch und da steigt es runter. Und unten im Bauch schwimmt es zu dem Ei. Und wenn die sich treffen: zack.“
Zack. Wenn man es so betrachtet, ist das alles ganz logisch und funktioniert ganz ohne Nacktsein und überhaupt – ohne mein Zutun. Bei der nächsten Frage allerdings kamen wir wieder ins Schleudern.
„Wie bestimmst du, ob du ein Baby bekommst oder nicht, Mama?“
Nach ihrer Erklärung ja gar nicht. Aber was wissen wir schon über Fortpflanzung, wir Erwachsenen? Wer weiß, was nachts alles so passiert, während wir schlafen? Und wir wissen gar nichts davon? Nur unsre Kinder, die haben den Durchblick. Und die Idee von der Leiter, die vom Bauchnabel in den Bauch führt klingt doch auch nicht weniger plausibel, als die Erklärung, die uns so zur Verfügung steht über das Wunder, das da geschieht, wenn Leben entsteht. Ach ja. In den Augen der Kinder ist halt alles irgendwie… märchenhaft.